Der „Talk on Software & Systems“ (TOSS) ist ein Forum des Treffens, der Anregung und des Austausches zwischen der Realität von Informationstechnik im großen Umfeld (IT „in the Large“) mit der Welt und der Methode & Denkweise der Wissenschaft und Forschung in der Form der Bitte der einseitigen Berichterstattung ohne Rücksicht auf akademische Dünkel.
Neben etablierten und bewährten Formaten versucht TOSS jene schwachbesetzte diskursive fachliche Regionen zu pflegen und zu beleben, die sich dem Transport und der Sichtbarmachung von Erfahrungen, Fragestellungen, Problemkreisen und Lösungsmustern aus der großen Empirie des realen Fallbeispiels retour in die Akademie widmen.
Dabei versucht sich im Format TOSS die der präzisen Methodik verpflichtete Wissenschaft ein gutes Stück weiter zu öffnen als üblich und über die Tradition des „Industrial Experience Reports“ in Tagungsbänden wissenschaftlicher Konferenzen oder einschlägiger Journale hin-auszugehen und dem realen Feld stark entgegenzukommen. Wir Wissenschaftler sind uns da der „Abschreckung“ durch Methodenzwänge und einschlägiger Formate oft viel zu wenig bewusst. Das führt dann durchaus dazu, dass wir nur das Studierbare studieren, das Beschreibbare beschreiben, das Lösbare lösen.
Nennen wir es einen natürlich wachsenden Agnostizismus zweier getrennt wachsender Erfahrungswelten. Die Realität und die Komplexität von IT-Großprojekten, die Genese von großen Anlagenbauten, die Sichtweise auf ganz große industrielle F&E-Programme mit konkreten Zielen aus dem Blickwinkel der CTOs und CIOs oder der Vorstände (CEOs und COOs) mit strategischen Visionen, die findet ihren Platz hier nicht (mehr) so einfach.
TOSS will dem entgegenwirken und anerkennt, es gibt dort wahrscheinlich versteckte Schätze der Erkenntnis. Wie früher Reisende auf den Inseln besonders gut bewirtet wurden, weil sie von Ereignissen, Menschen und Dingen berichten konnten, die vor Ort noch unbekannt waren, so ist TOSS ein geistig-intellektueller Ort, wo wir von bemerkenswerten Projektereignissen, außergewöhnlichen Problemen, meisterhaften oder einfach einmal „wirksamen aber methodisch schmutzigen“ Lösungen und F&E-Szenarien erfahren, die wir so nicht kennen, die wir unterschätzen und deren Quellenkraft wir (noch) nicht nutzen. Nicht die Vortragenden stehen am Prüfstand, sondern wir Wissenschafter prüfen uns, ob wir uns die richtigen Fragen stellen, ob wir die Fragen richtig stellen, ob wir blind sind, bequem, off-line, selbstverliebt, besserwissend oder ganz einfach zu vorsichtig, defensiv und in uns gekehrt.
Erkenntnistheoretisch lehnt sich TOSS u.a. auch bei Aristoteles an: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“: Klassische wissenschaftliche Herangehensweisen forciert als Primat die „Forschung in die Tiefe“. TOSS regt zu IT-Abenteuer-Berichten an. Diese eignen sich dann im Nachgang für Neuerungen und Vorschläge aus der Verfeinerung der zugehörigen wissenschaft-lichen Teilgebiete oder – so ist es Ziel der INSO - forciert einen sehr hohen (ingenieur-)wissenschaftlichen, methodischen Impetus jener Sphäre, die sich um die erforderlichen Elemente, Bausteine und Verfahren der Gesamtintegration hin zu einem funktionierenden IT-Gesamtsystem im großen realen Umfeld sorgen.
Diese liegen durchaus oft auch in technischen und sehr techniknahen Aufgaben- und Problem-kreisen und sind nicht – wie eine nicht unverbreitete Annahme moniert – einfach nur als abstrakt-generisches „Abfallprodukt“ von Stake-Holder-Themen wie Budgets, Ressourcen, Programmmanagement, Projektpolitik, Projektrisikomanagement und Promotorenhandhabung zu verorten.
Ein starkes Mittel und Muster des Erfolges der Ingenieurwissenschaften ist das Ende-zu-Ende-Engineering (EEE): dabei spielt Abwägen und Gewichten, d.h. das konkrete An-messen von Verfahren, Methoden, Ressourcen und Spezialisten eine wichtige, ja dominantee methodische Rolle: die konkrete Mixture zwischen Standardtechnologie und „Leading Edge“ sowie die elegante Abgrenzung zum „Bleeding Edge“ macht den IT-Großbau noch für Dekaden zur Meisterklasse bzw. zumindest zu großen Kunsthandwerk.
Große IT-Projekte enthalten nicht zuletzt aufgrund der Unsicherheit, Volatilität und Unklarheit der „richtigen Rezeptur“ immer auch ein sehr großes Stück an Forschung- und Entwicklung, die über die konventionelle Umsetzung hinausreicht. Die Empirie im Feld zeigt, dass bei IT-Innovations-Investitionen ab der Größenordnung von 50 Mio. € eine Quote von 60% Deckung der späteren Umsetzungsrealität mit der ursprünglichen Planung bei der konkreten Durchführung eines Großprojektes eher ein positiver Glücksfall als verlässliche Methode ist.
Es genügt in der Praxis schon ein Inhouse schlecht verstandenes IT-Brownfield oder ein aktuell kritischer Mix an neuen Technologien (z.B. IoT mit AI), um viel kleinere Budgetgrößen von 5 - 10 Mio. € und 500 Personenmonaten an Ziel und Plan weit vorbeizuführen. Angemessenes, erfahrenes, ingenieurgetriebenes EEE ist die wichtigste, nicht trivial her- und bereitstellbare Ingenieur-Lösungsmethode, um IT-Innovation in diesem Aspekt zu „zähmen“.
Ein Fallbeispiel für 3)? Nun, eine wirkliche „Smart City“ (sorry für dieses bis zur Unbedeutung ver- und missbrauchte Hype-Wort) entstünde aus gutem Zuhören in die Richtung von „Urban & Regional Planning“, großen Projekt-Entwicklern, Beobachtern von urbanen Kulturen und darauf basierenden professionellen digitalen Kollaborationsplattformen. Diesem kultivierten Ansatz steht eine industrielle Realität entgegen, bei der zumeist jeweils sehr regionale proprietäre Industrie-Lobbies „unkultivierte“, nicht gesamtheitlich eingestellte Technologien durchsetzen möchten, die dem altbekannten Fehlbauprinzip „Technologie sucht Nutzer“ recht gut und genau entspricht. Wer dem Prinzip „Technologie wird als gemeinsames Medium etabliert, das einen großen neuen Gemeinschaftsbedarf deckt“ dienen möchte, täte gut daran, den etwas anderen Erfahrungen zuzuhören und vor allem auch eine ganze Dekade an gescheiterten Ansätzen zu studieren, verstehen und massiv zu vermeiden.
„To TOSS Dices (or a Coin)“ steht in englischen Redewendungen für das Schütteln von Würfeln in einem Becher. Ein Vorgang der aus der scheinbar unergründlichen Undurch-schaubarkeit eines „Wurfes“ in die konkrete Realität unmittelbar ein sehr diskretes Ergebnis und anschaubares Ereignis herstellt. Ein Faktum. Ein konkreter (Aus-)Schnitt. TOSS-Vortragende stellen uns ein diskutierbares Abbild eines sehr komplexen Gesamt-Verlaufes und –Konstruktes bereit. In diesem Sinne ist jeder TOSS-Vortrag als Akt des/der Vortragenden zu sehen, uns allen einen „TOSS of his/her DICES“ hinzuwerfen und uns so einen Einblick zu gewähren in eine sonst extrem schwer zugängliche reale (Engineering-Handlungs-)Welt.